In Gedanken den Weg noch einmal gehen …
Es soll ein heißer Tag werden, jenseits der 30° C, sagte die Wettervorhersage – schwül – gewitterträchtig. Wahrscheinlich werden wir ziemlich ins Schwitzen kommen. Wobei ? Nun wir machen uns auf einen Weg, eine Pilgerfahrt, – mitten in der Stadt. Einen Weg zu einer kleinen Wallfahrtskirche, versteckt in den Auwäldern des Wiener Praters. Wallfahrt, das klingt so antiquiert, so wie aus einer anderen Welt. Wer geht heute noch mitten in Wien auf eine Wallfahrt? Gedanken kommen hoch, die an Wallfahrten vergangener Tage erinnern. Betend, abgekehrt von der Welt, sich auf die Suche nach Gott, – und mir selbst, machen. Werde ich ihm, – werde ich mir begegnen können, unter all den anderen Leuten, dem Trubel, der Alltäglichkeit die uns umgeben wird? Werden wir durchhalten in der Gruppe, trotz oder gerade wegen unserer Unterschiedlichkeit? Wird für jeden/jede etwas dabei sein?
Am schon fortgeschrittenen Vormittag trifft sich die Gruppe bei einer Busendstelle in unmittelbarer Nähe des grünen Praters. Hier zeigt sich einmal mehr die Unterschiedlichkeit und Vielfalt, für die CDS auch steht. Einige kommen schon mehr als 20 Minuten vor der vereinbarten Zeit zum Treffpunkt, andere gut eben soviel erst nachher. Gar nicht so einfach, diese Bandbreite immer auszuhalten. Während man die einen zu beruhigen sucht, die schon losmarschieren wollen, ringt man selbst um Ruhe, weil das (eigentlich entbehrliche) Warten auf die Nachzügler doch irgendwie nervt. Aber der überwiegende Teil der Leute ist guter Dinge, schön in all die lachenden Gesichter zu sehen.
So beschließen wir uns zu Teilen: die vorhandene Gruppe macht sich einmal zum Ausgangspunkt in der Prater Hauptallee auf den Weg. Ein guter Geist wartet noch auf die Nachzügler und diese werden dann gemeinsam folgen. Eine interessante Metapher des täglichen Lebens – denn wie oft sind wir mit verschiedenen Dingen weit voraus, hetzen uns im Alltag. Doch unsere Seele braucht ihre Zeit, um da mit zu kommen. Zeit um in die Gänge zu kommen, – ist es so nicht auch manchmal mit unserer Gottesbeziehung? Sind wir da nicht öfter auch viel zu schnell, zu laut, zu hektisch, zu erwartungsvoll, zu vorpreschend?
Wir setzen die ersten Schritte und stimmen uns auf den Tag ein. Smalltalk lässt uns zusammen finden. Wie geht es Dir, – wie geht es mir? Was bewegt mich im Moment? Wie war die Anreise? Ein schöner Tag – heiß soll es werden.
Auf dem Weg wird die Gegend und ihre Geschichte kurz erklärt. Wo wir sind und wohin wir wollen – wir orientieren uns. Auch darin spiegelt sich, was uns oft beschäftigt. Wo stehen wir im Leben? Wohin können wir vertrauensvoll gehen, was sind vertraute Bereiche, was liegt im Unbekannten?
Wir erreichen die Hauptallee. Eine kurze Pause und auch die Nachzügler haben uns eingeholt – wir sind endlich alle beisammen. Am Rande der breiten, geschichtsträchtigen Allee mit ihren Kastanienbäumen setzen wir unseren bewussten Anfangspunkt der Wallfahrt und beginnen im Zeichen des Kreuzes. Danach kehren wir der breiten Allee den Rücken, tauchen auf einem schmalen Weg ein in den grünen Dschungel Wiens. Die Reise zu mir selbst kann beginnen. Nur einige Schritte und die Ruhe und Stille des ehemaligen Auwaldes umschließt uns. Der Lärm und die Geschäftigkeit der Stadt sind fast verstummt und klingen nur weit entfernt. Der Wald dampft, die Sonne blinzelt ab und zu durch das Blätterdach. Eine eigenartige, aber beruhigende Stimmung hat es hier. Vögel zwitschern, Insekten surren und der Wind streicht angenehm kühlend über die Haut. Hundebesitzer mit ihren Lieblingen queren unseren Weg. Auch die Vierbeiner scheinen heute infolge der Hitze weniger verspielt zu sein als sonst. Einer rollt mir seinen Ball entgegen – Gott begegnet uns in vielerlei Gestalt.
Wir sind unterwegs zum ersten Haltepunkt – einige im Gespräch, andere genießen die Stille und/oder beten bereits. Dort angekommen singen wir ein Lied. Ein nachfolgender Text lädt uns ein Innezuhalten, nachzuforschen wo wir stehen, im Leben, im Alltag, gerade jetzt …
Herr erbarme Dich – sieh Herr wo ich bin und wo ich so gerne wäre … Komm Herr, komm und teile den Weg mit mir, denn du allein bist meine Quelle. Alle meine Quellen entspringen in Dir …
Den nächsten Abschnitt können wir schweigend im Gebet oder im Austausch bewältigen. Der Weg führt zurück zur Hauptallee und wir nähern uns wieder hörbar dem Alltag. Er scheint ganz bewusst gewählt zu sein – ein Spiegel des täglichen Lebens. Zeiten der Ruhe und Abgeschiedenheit wechseln mit lauten Bereichen und wieder zurück. Wir suchen die Ruhe des Gebetes , doch werden wir gestört durch den Lärm des täglichen Lebens. Es fällt schwer die Gedanken zu ordnen, den richtigen Tritt wieder zu finden, wieder ins Gebet, ins Gespräch mit Gott zurück zu finden. Der Lärm ist manchmal unerträglich. Noch ein paar Meter, dann ist es geschafft, die Ruhe umfängt uns wieder und das Heustadlwasser begleitet unseren Weg. Ruhig und träge liegt der Altarm der Donau in der sommerlichen Hitze neben uns. Die Sonne glitzert auf dem Wasser, fast scheint es, als könne man den Wasserdampf aufsteigen sehen. Ruhig gehen die Schritte voran, – ja Herr, deine Schöpfung ist ist immer wieder staunenswert. Libellen und Käfer fliegen um die Wette, unzählige Blätter in den verschiedensten Grünschattierungen und Formen rauschen weiter ruhig im Wind, verschiedene Spuren von Tier und Mensch finden sich im grauen Waldboden. Alles lebt – alles ist belebt.
Nachdem wir das Ende des oberen Heustadlwasser passiert haben queren wir noch einmal die Hauptallee und erreichen, auf der anderen Seite nach einigen Metern durch den Wald, eine abgelegene Lichtung. Rundherum zirpt es im Gras, dem man ansieht, dass es nun schon länger nicht mehr geregnet hat. Eine ausladende Linde etwa in der Mitte der Lichtung lädt zum Verweilen ein. Es wird eine kurze Rast eingelegt und einige von uns laben sich an den mitgetragenen Getränken. Es tut gut, ein wenig sitzen zu können und wir rücken zusammen, sodass fast alle Platz haben. Wir hören eine Stelle aus dem Johannes-Evangelium (→ Weinstock und Reben) und werden mit dem Text auf die letzte Etappe vor Maria Grün geschickt. Erst in Stille – dann im Austausch mit den Anderen. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben – eine Stelle, die grundsätzlicher unseren Glauben nicht widerspiegeln könnte. Christus als Basis, als Mitte, die uns Alle trägt. Wir sind die Reben, die wachsen und reiche Frucht bringen sollen. – Wie geht es mir damit? Schaffe ich das? … Habe ich das Gleichnis auch richtig verstanden? – Während wir wieder auf einem Seitenweg dahin wandern, tauschen wir uns darüber aus.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Nach der Brücke unter der Ostbahn sind es nur mehr wenige Meter bis zum Ziel, das sich aber fast bis zum letzten Augenblick versteckt hält. Die Wallfahrtskirche Maria Grün ist erreicht. Wir haben Glück und sie ist offen. Nun haben wir Zeit, darin eine kleine Andacht zu halten. Wieder werden Lieder angestimmt. Es gilt nun Dank zu sagen und ein wenig Rückschau zu halten. Alle entschließen sich ohne Absprache für eine Zeit des stillen Gebetes. Noch einmal erleben wir die ungeheure Stille mitten in der Großstadt. Die Schlichtheit des Gotteshauses nimmt einen schnell gefangen und schafft eine sehr heimelige Atmosphäre. Es ist, als wäre Gott wirklich spürbar in unserer Mitte, ganz so als würde er sich jedem Einzelnen zuneigen, zuhören – und in die Arme nehmen. Beim Schließen der Augen ist es, als würde man in ein großes Ganzes eintauchen, und mit Allem verbunden sein. Ich frage mich, in wie vielen Dingen bist Du mir Herr, auf diesem Weg begegnet?
Als Abschluss sprechen wir noch ein gemeinsames Segensgebet. Es geht sich gerade aus, dass fast jede/jeder eine Zeile lesen kann:
Der Herr segne dich:
Er erfülle deine Füße mit Tanz
und deine Arme mit Kraft.
Er erfülle dein Herz mit Zärtlichkeit
und deine Augen mit Lachen.
Er erfülle deine Ohren mit Musik
und deine Nase mit Wohlgerüchen.
Er erfülle deinen Mund mit Jubel
und dein Herz mit Freude.
Er schenke dir immer neu die Gnade der Wüste:
Stille, – frisches Wasser und neue Hoffnung.
Er gebe uns allen immer neu die Kraft,
der Hoffnung ein Gesicht zu geben.
ES SEGNE UNS DER HERR.
AMEN
Bevor wir uns auf den Rückweg machen, suchen wir uns beim Lusthaus noch ein schönes Plätzchen in der Wiese. Gehen und beten machen hungrig, die Hitze des Tages durstig. Auf einem Tisch können wir die Sachen ausbreiten, die wir mitgebracht haben und teilen. Es war ein schöner Weg, ein interessantes gemeinsames Erlebnis. Die gute Laune ist nie abhanden gekommen – höchstens zeitweise ein wenig hinter den Ernst der Stille zurückgetreten. Nun ist unser Lachen über die ganze Wiese zu hören.
Am Himmel ziehen nun langsam die vorhergesagten Gewitterwolken auf. Zeit, sich auf den Rückweg zu machen. Die ersten verabschieden sich, der Rest geht wacker bis zum Startpunkt, der Bushaltestelle, zurück – nun aber auf dem direkten Weg. In Dankbarbarkit blicke ich nochmal zurück auf die Augenblicke, die Stille, die Gemeinschaft – und hoffe, dass wir uns wieder einmal gemeinsam auf den Weg machen.